Dürfen Lobbyisten der Lebensmittelindustrie die EFSA kontrollieren?

Abstimmung über Zusammensetzung des Verwaltungsrats der Lebensmittelbehörde
Montag, 5. May 2014
München/Brüssel

Am 7. Mai werden die Ständigen Vertreter der Mitgliedsstaaten in Brüssel (Coreper) über die Ernennung von sieben Mitgliedern des Verwaltungsrats der Europäischen Lebensmittelbehörde (EFSA) abstimmen. Die EFSA ist für alle Bereiche der Lebensmittelsicherheit zuständig, darunter Gentechnik, Pestizide und Lebensmittelzusatzstoffe. Der Verwaltungsrat ist das höchste Entscheidungsgremium der Behörde, das unter anderem über die Unabhängigkeit der EFSA wachen soll. Eine Gruppe konservativer und liberaler Abgeordneten des Europäischen Parlaments hatte im Januar zwei KandidatInnen, die als Lobbyisten für die Lebensmittelindustrie tätig sind, als Top-Kandidaten für diese Position ausgewählt. Zwei weitere Mitglieder des Verwaltungsrats, die sich erneut bewerben, haben ebenfalls enge Verbindungen zur Industrie. Die Unabhängigkeit der EFSA ist äußerst umstritten: Es wurde vielfach über Interessenkonflikte berichtet, an den wissenschaftlichen Stellungnahmen der Behörde wurden immer wieder Zweifel geäußert.

„Professionelle Lobbyisten der Lebensmittelindustrie sollen Aufpasser bei der EU-Lebensmittelbehörde werden. So wird der Bock zum Gärtner gemacht. Damit tut man der Behörde keinen Gefallen, deren Ruf ohnehin schon ramponiert ist. Und man setzt mutwillig die Interessen von Umwelt und VerbraucherInnen aufs Spiel“, sagt Christoph Then von Testbiotech.

Von den 23 Kandidaten, die ursprünglich von der EU-Kommission ausgewählt wurden, hatten oder haben vier Kandidaten sehr enge Beziehungen zur Industrie:
• Beate Kettlitz ist Direktorin für Lebensmittelsicherheit bei der Lobbyorganisation FoodDrinkEurope, die alle großen Lebensmittel- und Getränkehersteller in der EU vertritt.
• Jan Mousing, der sich erneut für den Verwaltungsrat bewirbt, ist der Geschäftsführer des Danish Knowledge Centre for Agriculture, einer privaten Firma, welche die Interessen der dänischen Lebensmittelindustrie vertritt.
• Piet Vanthemsche, der sich ebenfalls erneut bewirbt, ist in führender Position beim Europäischen Bauernverband COPA und bei einem Agro-Investmentfonds tätig (MRBB Holding). Dieser Fonds hält auch Anteile an Konzernen, die gentechnisch verändertes Saatgut verkaufen.
• Milan Kovac vom slowakischen Ministerium für Landwirtschaft war bis 2011 Mitglied des Verwaltungsrats von ILSI (International Life Sciences Institute) Europe. ILSI wird u. a. von der Agro-Industrie finanziert und dient als ein entscheidendes Instrument für die Einflussnahme der Industrie auf die EFSA.

Die Koordinatoren des Umweltausschusses hatten in einer nicht-öffentlichen Sitzung am 16. Januar eine Empfehlung für acht Kandidaten beschlossen. Dabei sprachen sie sich insbesondere für Kettlitz und Mousing aus. Dagegen hatten sich vor zwei Jahren das Europäische Parlament und die EU-Mitgliedsländer in einer ähnlichen Abstimmung gegen die Berufung von Industrie-Lobbyisten in den Verwaltungsrat ausgesprochen. Zudem hat das Europäische Parlament in einer Resolution im April 2014 sogar eine Stärkung der Unabhängigkeit der Behörde gefordert.

Auf Rückfrage rechtfertigten zwei der Koordinatoren des Umweltausschusses die Empfehlung für Kettlitz und Mousing: Chris Davies, ein britischer Abgeordneter, der zur Gruppe der Liberalen gehört, und der deutsche Sozialdemokrat Mathias Groote, Vorsitzender des Umweltausschusses. Dieser erklärte auf Rückfrage gegenüber der lobbykritischen Organisation Corporate Europe Observatory, dass der Vorschlag in Übereinstimmung mit den EU-Vorgaben stehe.
Die Verordnung 178/2002 verlangt, dass vier der 14 Mitglieder des Verwaltungsrats „aus dem Kreis der Organisationen, die die Verbraucherschaft und andere Interessen in der Lebensmittelkette vertreten“, kommen sollen. Doch es steht nirgendwo, dass es sich dabei um Vertreter der Industrie handeln soll. Im Gegenteil: Die Richtlinien der EFSA zur Wahrung ihrer Unabhängigkeit sehen vor, dass niemand, der für die Industrie arbeitet, auch zugleich für die Behörde tätig sein soll.

Martin Pigeon von der Organisation Corporate Europe Observatory (CEO) erklärt: „Es ist bedauerlich, dass eine Handvoll EU-Abgeordneter über eine so wichtige Frage in einer nicht-öffentlichen Sitzung in Namen des Europäischen Parlaments entscheiden darf. Gerade erst hat dasselbe Parlament mit großer Mehrheit erklärt, dass es gegen eine Schwächung der Unabhängigkeit der EFSA ist. Wir fordern die Regierungen der Mitgliedsländer der EU auf, die Unabhängigkeit der EFSA zu verteidigen und und eine Unterwanderung der Lebensmittelbehörde durch die Industrie zu verhindern.“

Kontakt: 

Christoph Then, Testbiotech, Tel 0151 54638040 info@testbiotch.org,
Martin Pigeon, Corporate Europe Observatory, CEO, +32-2893 09 30, + 32-484 671 909, martin@corporateeurope.org