Mutagenese

Konventionelle Pflanzenzucht nutzt Mutationen

 

 

Worum geht es?

Spontane Mutationen (d.h. Veränderungen) der DNA, des Trägers der Erbinformation, treten natürlicherweise bei allen Lebewesen auf. Ausgelöst werden sie beispielsweise durch Umwelteinflüsse wie Strahlung (z.B. UV-Licht) oder durch Substanzen (z.B. Umweltgifte). Weil solche Veränderungen bei Mensch und Tier oft schädliche Auswirkungen haben, versucht man hier u.a. durch Schutzmaßnahmen wie Sonnen- und Strahlenschutz oder durch das Meiden bestimmter Substanzen vorzubeugen.

Doch in der Pflanzenzüchtung sind Mutationen im Erbgut oft erwünscht: Mit ihrer Hilfe werden genetische Varianten erzeugt, die Pflanzen Eigenschaften wie besonderen Wuchs, größere Früchte oder Resistenzen gegen Umwelteinflüsse verleihen können. Um wünschenswerte Mutationen zu finden, werden natürliche Populationen und gezüchtete Sorten durchsucht und dann weiter vermehrt und miteinander gekreuzt, um eine optimale Kombination der Erbinformationen zu erreichen.

Manche Züchter beschleunigen die Mutationsrate durch den Einsatz von ionisierenden Strahlen oder chemischen Stoffen. Das Ziel einer solchen „Mutagenese“ ist die Erhöhung der genetischen Vielfalt innerhalb kürzerer Zeiträume, als sie natürlicherweise zu erwarten sind. Pflanzen, die dadurch in ihrer Entwicklung gestört sind bzw. unerwünschte Resultate aufweisen, werden aussortiert.

Diese Mutationen werden oft als rein zufällig angesehen, letztlich sind sie es aber nur zum Teil. Betrachtet man die Ergebnisse der spontanen Veränderungen im Erbgut einer Population insgesamt, sind diese in ihrer Gesamtheit keineswegs zufällig, sondern unterliegen verschiedenen Steuerungsmechanismen.

Pflanzen können sich gegenüber Mutationen bis zu einem gewissem Maß selber schützen: Sie haben in ihren Zellen vielfältige natürliche Mechanismen, die verhindern sollen, dass spontane Mutationen außer Kontrolle geraten. So sind bestimmte Regionen des Erbgutes besonders geschützt: Dafür sorgt die sogenannte Epigenetik, das heißt die natürlichen Mechanismen der Genregulierung. Sie entscheidet darüber, ob eine Gen-Sequenz „abgelesen“ wird oder nicht. Die Epigenetik kann beispielsweise dafür sorgen, dass die DNA in bestimmten Bereichen besonders fest verpackt und damit weniger aktiv ist. Gleichzeitig ist diese Region dann auch gegenüber Einwirkungen von außen oft besser geschützt als andere Regionen.

Es gibt zudem Reparaturmechanismen, die dafür sorgen können, dass nach einer Mutation der ursprüngliche Zustand des Erbgutes wieder hergestellt wird. Pflanzen können auch Chromosomen oder Genabschnitte vervielfältigen, um auf Umweltreize zu reagieren. Sie tragen sozusagen „Sicherheitskopien“ im Erbgut, das heißt viele Gensequenzen finden sich gleich mehrfach in den Zellen. Geht eine verloren, kann die Zelle die Kopien weiterhin nutzen.

Zu den zelleigenen Anpassungsmechanismen gehören auch sogenannte „springende Gene“ (Transposons), durch die Genabschnitte innerhalb des Erbgutes an eine andere Stelle kopiert werden können. Dabei gibt es unterschiedliche Mechanismen, die die Häufigkeit und den Ort des Einbaus der Gene beeinflussen können – je nach Art des Transposons.

Im Ergebnis haben Pflanzen besonders viele Möglichkeiten, ihr Erbgut zu verändern und es gleichzeitig zu schützen. Das ist wichtig: So kann eine Art über Jahrmillionen hinweg in ihren Eigenschaften stabil bleiben und sich dennoch innerhalb einer gewissen Bandbreite an geänderte Umweltbedingungen anpassen.

Ein Grund, warum Pflanzen besonders anpassungsfähig sind: Pflanzen sind im allgemeinen ortsfest, also im Vergleich zu Tieren und Menschen immobil. Sie können nicht durch Ortswechsel widrigen Umweltbedingungen ausweichen, sondern müssen sich so gut wie möglich anpassen. Das Erbgut von Pflanzen ist deswegen in manchen Bereichen flexibler als bei Mensch und Tier, ein wichtiger Teil ihrer Überlebensstrategie.

Züchter können diese Mechanismen der genetischen Variabilität nutzen. Dabei arbeitet die konventionelle, traditionelle Züchtung immer mit ganzen Zellen beziehungsweise auf der Ebene von Organismen. Die Gentechnik greift dagegen direkt auf der Ebene des Erbguts ein und versucht die Mechanismen der natürlichen Vererbung zu umgehen.

 

Was ist problematisch?

Manche Verfahren zur Auslösung von Mutationen gelten als natürlicher und unbedenklicher als andere. Während UV-Licht über das Sonnenlicht beständig auf die Pflanzen einwirkt und auch beständig Mutationen auslöst, gibt es auch Verfahren, die beispielsweise Röntgenstrahlen oder sehr wirksame Chemikalien nutzen. Alle diese Verfahren hinterlassen keine Rückstände in den Pflanzen, aber die Bandbreite der Veränderungen des Erbguts kann je nach Verfahren extrem gesteigert werden. Das führt auch zu Diskussionen, ob alle Techniken der Mutagenese tatsächlich unbedenklich sind.

Tatsächlich könnten aus der Mutationszüchtung Pflanzen entstehen, die für die Ernährung nicht geeignet sind. So könnte unter Umständen der Gehalt an gesundheitsschädlichem Solanin in Nachtschattengewächsen (wie Tomaten oder Kartoffeln) steigen. In der Diskussion ist beispielsweise auch ein hoher Gehalt an Gluten, den manche Getreidearten aus konventioneller Züchtung aufweisen. Manche Züchtungsergebnisse sind für die nachhaltige Landwirtschaft ganz einfach ungeeignet, etwa wenn aufgrund der Züchtungsziele Pflanzen entstehen, bei deren Anbau mehr Pestizide oder Düngemittel eingesetzt werden müssen.

Deswegen wird bisweilen gefordert, dass auch Pflanzen, die aus der Mutationszüchtung kommen, von Fall zu Fall untersucht werden. Das ist beispielsweise in Kanada schon üblich: Pflanzen mit bestimmten neuen Eigenschaften werden auf ihre Risiken geprüft, auch wenn sie nicht gentechnisch verändert wurden. Grundsätzlich kann man spontane Mutationen nicht kontrollieren, denn die Evolution und damit die Anpassungsmechanismen der Pflanzen können keiner gesetzlichen Regulierung unterworfen werden. Prüfen kann man aber einzelne Ergebnisse, das heißt die Produkte der konventionellen Züchtung, wenn sich entsprechende Hinweise auf Risiken ergeben.

In der EU sind Pflanzen, die aus der bisherigen Mutationszüchtung stammen, von der Regulierung ausgenommen. Dagegen unterliegen Pflanzen und Tiere, die mit Gentechnikverfahren hergestellt wurden, laut der EU-Richtlinie 2001/18 einer Zulassungsprüfung. Dabei geht es unter anderem um „Verfahren, bei denen in einen Organismus direkt Erbgut eingeführt wird, das außerhalb des Organismus zubereitet wurde (...)“.

Das hat gute Gründe: Gentechnische Verfahren verändern das Erbgut direkt auf der Ebene der DNA und unterliegen nicht den natürlichen, biologischen Mechanismen der Vererbung. Sie können die Mechanismen der Genregulierung teilweise umgehen und/ oder manipulieren.

Damit unterscheidet sich diese Art der gentechnischen Veränderung deutlich von den Verfahren der konventionellen Züchtung, die mit ganzen Zellen oder Organismen arbeitet. Und daher sind gentechnische Verfahren auch keine einfache Weiterentwicklung bisheriger Züchtungsmethoden. Auch wenn keine neuen Gene eingefügt werden, sind die Ergebnisse und damit verbundene Risiken oft deutlich von denen der konventionellen Züchtung verschieden.

Kurz gesagt unterscheiden sich die neuen Gentechnikverfahren in ihrer Eingriffstiefe deutlich von den bisher üblichen Verfahren der Züchtung: Die Gentechnik greift in den Zellkern ein und umgeht dabei die „Spielregeln“ von Genregulation und Vererbung. Die Mutationszüchtung kann die natürlichen biologischen Mechanismen beschleunigen, tut dies aber innerhalb der im Laufe der Evolution natürlich entwickelten Mechanismen.

 

Weitere Informationen:

Bei der Diskussion um die rechtliche Einordnung der neuen Gentechnikverfahren wird gezielt versucht, Verwirrung über bestimmte Begrifflichkeiten wie Mutagenese zu stiften. So soll der Eindruck erweckt werden, dass Veränderungen des Erbgutes, die durch die neuen Gentechnikverfahren entstanden sind, mit denen der konventionellen Züchtung gleichzusetzen seien.

Der Grund: Produkte, die als gentechnisch verändert reguliert werden, unterliegen einer Risikobewertung, bevor sie vermarktet werden dürfen. Das verursacht Kosten. Die genaue Höhe ist nicht bekannt, da es keine von der Industrie unabhängigen Zahlen gibt. Gemessen am potentiellen Markt sind die Kosten aber tatsächlich sehr überschaubar: Unterlagen, die in der EU eingereicht werden, können auch in den USA, Kanada, Brasilien, Argentinien oder Australien verwendet werden. Über die Jahre ist
insbesondere für gentechnisch veränderte Soja, Mais und Baumwolle ein milliardenschwerer Markt für das patentierte Saatgut der Konzerne entstanden. Das Kostenargument wird also oft nur vorgeschoben, um die bestehende Regulierung in Frage zu stellen.

Es ist wichtig, Pflanzen und Tiere, die mithilfe der neuen Verfahren gentechnisch verändert sind, auch in Zukunft zu regulieren. Das bedeutet, dass solche Pflanzen auch in Zukunft auf ihre Risiken untersucht werden und Methoden zu ihrer Identifizierung bereitgestellt werden. Dabei muss der Schutz von Mensch und Umwelt oberste Priorität haben.

 

 

 

Publication year: 
2018